Sich hilfreich und ohne schlechtes Gewissen abzugrenzen, ist eine Kunst.  Viele Frauen lernen sie leider erst durch schwierige Lebenssituationen. So erging es auch Seraina (Name geändert). Sie hat zu spät realisiert, dass sie sich in ihrem Leben zu wenig abgegrenzt hat. Sie erzählt:

Ich war noch keine 30 Jahre alt, als ich eine Erschöpfungsdepression (Burnout) hatte. Bis dahin lebte ich nach dem Motto: «Was ich will, das kann ich auch». Und plötzlich funktionierte ich überhaupt nicht mehr. Meine fröhliche, optimistische Art, meine Energie, meine Fähigkeit, Dinge anzupacken und Lösungen zu suchen, alles schien sich wie in Luft aufgelöst zu haben. Selbst der Zugang zu meinen Emotionen war wie abgeschnitten. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits Mutter von zwei Kindern. Es war also ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt. Was vorher selbstverständlich funktionierte, war plötzlich nicht mehr möglich. Weder mein Umfeld, meine Freunde, geschweige denn ich selber konnten es verstehen. Ich schämte mich dafür und fühlte mich falsch.

Das Leben war nun schwer, anstrengend und überfordernd. Vieles erschien mir sinnlos und machte mir unglaublich Angst. Und das alles, obwohl ich einen liebevollen Mann, zwei gesunde Kinder, eine gute Familie und ideale Lebensumstände hatte. Ich fühlte mich wie ein Strauch, dem man alle Äste abgeschnitten hatte. Kahl, leer, beinahe leblos. Das war ein Wendepunkt in meinem Leben. Während ich mich langsam erholte, begann ich viele Dinge zu erkennen, wie zum Beispiel:

  • Wie oft hatte ich meine eigenen Grenzen weder wahrgenommen noch respektiert und schon gar nicht kommuniziert.
  • Dass ich oft über angepasst war und bestimmte Überzeugungen, die in meinem traditionalistischen geprägten Umfeld galten, übernommen habe, obwohl ich es nicht für richtig hielt.
  • Wie wichtig es ist, dass ich mich nicht nur um andere, sondern auch um mich selbst kümmere und Verantwortung für mich selbst übernehme.

Dann begann ein neuer Weg für mich, ein Prozess, in dem ich lernte, meine Grenzen besser zu erkennen. Ich übte, für mich einzustehen, mich selber, meine Persönlichkeit und meine Gaben wertzuschätzen. Ich lernte, mich nicht unnötig einengen zu lassen, sondern mein Leben selbstverantwortlich zu gestalten. Das Bild des Strauches hatte sich verändert. Er blüht wieder. Viele, starke neue Zweige sind gewachsen und Strauch entwickelt sich ständig weiter.

Diese Geschichte hat mir bewusst gemacht, wie wichtig Abgrenzen ist.

Abgrenzen ist eine Schlüsselkompetenz, die für ein gelingendes Leben äusserst wichtig ist. Sie hilft uns, psychisch und emotional gesund zu bleiben.

  1. Darum benenne ich im ersten Teil dieses Artikels 7 Gründe, warum es vielen Frauen so schwerfällt, sich hilfreich und ohne schlechtes Gewissen abzugrenzen.
  2. Im zweiten Teil gehe ich darauf ein, wie uns eigene Erfahrungen zum Thema Abgrenzen geprägt und oft auch heute noch einen starken Einfluss haben.
  3. Im dritten Teil zeige ich einen Weg auf, wie du deine Abgrenzungskompetenz weiterentwickeln kannst.

 

7 Gründe, die ein souveränes Abgrenzen verhindern

Wir alle haben typische Muster, wie wir uns üblicherweise abgrenzen. Nicht alle sind besonders hilfreich. Darum benenne ich hier einige typische, aber leider hinderliche Reaktionen, die mir als Life Coach immer wieder begegnet sind.

 

Grund 1: Zu unklare Signale

Du gehörst zu denen, die sich viel zu wenig klar und deutlich abgrenzen, sodass dein Gegenüber es nicht als Abgrenzungssignal erkennt.
Das kann sowohl für deinen privaten, als auch deinen beruflichen Kontext gelten. Es kann aber auch durchaus sein, dass es dir in einem Bereich bereits gelingt, aber im anderen noch nicht.

Beispiel: Ich dachte früher oft, mein Mann oder meine Kinder müssten es doch merken, dass mir etwas zu viel ist oder dass etwas nicht passt. In meinen Augen war es doch so offensichtlich. Erst mit der Zeit erkannte ich, dass ich mit einer solchen Erwartungshaltung mein Gegenüber überfordere. Ich musste lernen, mich klar zu äussern und deutlich ja oder nein zu sagen.

 

Grund 2: Übermässige Anpassung

Du grenzt dich erst gar nicht ab, weil du aus lauter Angst oder Gewohnheit in die Überanpassung gehst.
Kommt dir das bekannt vor? Lässt du einfach etwas über dich ergehen, obwohl du es gar nicht willst? Hast du dann das Gefühl, dich selbst zu verlieren oder bist frustriert und ärgerst dich über dich selber?

Beispiel: Ich möchte mich ja auf eine gute Art abgrenzen, aber ich schaffe es einfach nicht. Als die Chefin mich fragte, ob ich diese Aufgabe übernehmen könne, habe ich einfach ja gesagt. Nachher hätte ich mich ohrfeigen können, dass ich mich nicht klar abgegrenzt habe. Erstens passte diese Aufgabe nicht zu mir und zweitens wusste ich, dass ich es zeitlich nie hinkriegen würde.

 

Grund 3: Beschönigen und in der Opferrolle verharren

Du beschönigst die Situation oder redest dir ein, ein Opfer der Umstände zu sein.
Vielleicht sagst du dir: So schlimm ist es auch wieder nicht. Und überhaupt, ich habe eh keine Wahl, ich muss einfach mitmachen und ich habe keine Chance mich abzugrenzen. Dieses Erleben frustriert dich und will dir einreden, dass du halt das arme Opfer bist.

Beispiel: Schon wieder liess ich es einfach mit mir geschehen. Eigentlich hatte ich dringend etwas zu tun, aber dann wollte die Kollegin nur noch «schnell» etwas von mir. Ich sagte weder nein noch ja, sondern hörte zu und ignorierte meine Bedürfnisse. Das «schnell» wurde immer länger und ich innerlich immer nervöser. Nachher war ich erschöpft und unzufrieden mit mir, weil ich weder ganz bei ihr war, noch das erledigt hatte, was ich tun wollte.

 

Grund 4: Flucht in die Aggression

Du grenzt dich viel zu aggressiv ab und lässt deine Emotionen ungefiltert heraus.
Vielleicht merkst du erst im Nachhinein, wie viel Geschirr du damit zerschlagen hast. Möglicherweise hast du dann ein schlechtes Gewissen, weil du überreagiert hast und ausgerastet bist. Dann wertest du dich ab oder verurteilst dich dafür, dass du es schon wieder nicht geschafft hast, dich auf eine hilfreiche, souveräne Art abzugrenzen.

Beispiel: Manchmal grenze ich mich zwar ab, aber es kommt viel zu stark rüber, eher so, wie wenn eine Tischbombe explodieren würde und nachher einen Gestank verbreitet. Dann ist es zwar raus, aber ich merke, dass ich verletzend war und meine Freundin sich innerlich zurückzieht. Ich bleibe zurück mit einem schlechten Gewissen und weiss trotzdem nicht, wie ich es besser machen könnte.

Wut kann eine unglaublich hilfreiche Emotion sein, wenn es darum geht, sich abzugrenzen.
Allerdings nur dann, wenn du sie bewusst wahrnimmst und dosiert einsetzt. In meinem TV-Interview «Wut im Bauch» habe ich darüber gesprochen, warum Wut gut ist.

 

Grund 5: Blockiert

Du bist wie erstarrt und verlierst den Zugang zu dir selbst und zu deinen Ressourcen.
Dann kann es sein, dass du in einem solchen Moment keine Idee mehr hast, wie du dich abgrenzen könntest. Vielleicht hast du den Eindruck, der Situation ohnmächtig ausgeliefert zu sei. Du bist wie gelähmt und sprachlos, als ob dir die Worte im Hals stecken bleiben würden.

Beispiel: Ich habe einfach nichts dazu gesagt. Ich war sprachlos. Ihre Vorwürfe waren völlig ungerechtfertigt. Sie beschuldigte mich für etwas, das überhaupt nicht wahr war. Im Nachhinein hätte ich 1000 Ideen gehabt, was ich hätte sagen können. Aber in diesem Moment war ich wie leer, gelähmt, sprachlos. Völlig frustriert ging ich zurück in mein Büro.

 

Grund 6: Zu starre Grenzen

Du bist plötzlich so hart und unbeweglich, dass du dich übertrieben und viel zu stark abgrenzt.
Sich hilfreich abzugrenzen ist die Kunst, eine gute Balance zu finden, zwischen Abgrenzung und Anpassung. Wir sind soziale Wesen und unser Zusammenleben funktioniert nur dann, wenn wir lernen, sowohl unsere Grenzen zu schützen, als auch flexibel mit den Grenzen anderer umzugehen.

Beispiel: Erschrocken zuckte ich innerlich zusammen. Ich war gerade unfreiwillig bei einem Gespräch dabei, als ich mitanhören musste, wie meine Kollegin eine andere Person anbrüllte. Eine völlig unangemessene Reaktion, die mehr Kampf bewirkte, als dass sie geklärt hätte. Als wir nachher darüber austauschten, merkte ich, dass sie selber gar nicht realisiert hatte, wie aggressiv sie wirkte.

 

Grund 7: Kontaktabbruch

Du grenzt dich ab, indem du eine Beziehung einfach abbrichst.
Bestimmt gibt es Situationen, in denen dieser Schritt nötig ist. Falls es jedoch nur aus einer Ohnmacht heraus geschieht, weil du nicht weisst, wie du dich souverän abgrenzen könntest, ist es sehr schade und wäre nicht nötig.

Beispiel: Ich war am Telefon mit einer Freundin. Wir beide diskutierten heftig und waren bei einem Thema total gegensätzlicher Meinung. Ich versuchte den Standpunkt meiner Freundin anzuhören, aber auch meinen eigenen Standpunkt zu vertreten. Da hängte meine Freundin einfach plötzlich den Hörer auf. Ich sass da und fühlte mich verletzt und ärgerte mich darüber, dass sie einfach so das Gespräch abgebrochen hat.

 

Kennst du einen oder mehrere dieser Gründe in deinem Leben? Bei all diesen Verhaltensweisen bleibt sehr oft ein unangenehmes Gefühl zurück. Das muss erfreulicherweise nicht so bleiben, denn du kannst lernen, wie du dich immer souveräner abgrenzen kannst.

 

Deine Verhaltensmuster beim Abgrenzen sind geprägt von deinen eigenen Erfahrungen

Deine eigenen Erfahrungen zum Thema Abgrenzen und all das, was du mit Bezugspersonen oder Personen, die dir wichtig sind, erlebt hast, hat dich geprägt. Vieles von dem hast du wahrscheinlich verinnerlicht, ohne es bewusst zu realisieren. Es gehört wie selbstverständlich zu dir und beeinflusst dein heutiges Verhalten. Darum ist es so wichtig, herauszufinden, welche innere Haltung und Einstellung du zum Thema Abgrenzen entwickelt hast.

 

Welche Erfahrungen mit Abgrenzen hast du gemacht? Waren sie mehrheitlich positiv und hattest du gute Vorbilder, die dir vorgelebt haben, wie du dich souverän abgrenzen kannst? Oder waren sie oft negativ? Welche entsprechenden Rückschlüsse hast du daraus gezogen?

 

Die folgenden Beispiele stehen für eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie es Frauen erlebt haben, die sich schwer damit tun, sich ohne schlechtes Gewissen abzugrenzen. Vielleicht erkennst du deine Situation in einem Punkt wieder.

  • Abgrenzungsverbot: Du durftest dich nicht abgrenzen. Ein Nein wurde nicht akzeptiert. Sonst hatte es für dich negative Konsequenzen. Du wurdest verbal abgewertet. Dir wurde die Zuwendung entzogen oder noch schlimmer, man hat dich verletzt oder zu etwas gezwungen.
  • Selbstverleugnung: Dir wurde beigebracht, dass du nur für andere Menschen da sein musst und deine Meinung oder Bedürfnisse eh nicht so wichtig seien. Diese Überzeugungen sind dir mit der Zeit so in Fleisch und Blut übergegangen, dass du jetzt selber davon überzeugt bist und sie dir wie die absolute Wahrheit erscheinen.
  • Überverantwortlichkeit: Du hast erlebt, dass es einem Menschen in deinem Umfeld richtig schlecht ging, wenn sich jemand anderes abgegrenzt hat. Jetzt fühlst du dich ständig verantwortlich für das Glück anderer und willst in Zukunft diese miese Stimmung verhindern.
  • Fehlende Vorbilder: Dir fehlen gute Vorbilder, weil deine Mutter, dein Vater oder andere Autoritätspersonen sich nicht hilfreich abgrenzen konnten. Du hast dadurch (noch) nicht gelernt, wie du es auf eine gute Art machen kannst

 

So kommst du deinen Überzeugungen zum Thema Abgrenzen auf die Spur

Das kannst du ganz einfach herausfinden, welche Überzeugungen dich zum Thema Abgrenzen steuern. Mache dazu einfach folgende Übung. Nimm dir ein Blatt Papier und beende folgende Sätze oder nimm deine spontanen Antworten mit dem Handy auf und höre sie nachher nochmals ab.

  • Ich darf mich NICHT abgrenzen, weil ….
  • Wenn ich mich abgrenze, dann ….

 

Deine Antworten bringen dich auf die Spur deiner Überzeugungen, die tief in dir stecken und dich beim Thema Abgrenzen steuern und dein Verhalten prägen.

Was du durch diese einfache Übung erkannt hast, ist für den nächsten Schritt sehr wichtig.

 

Realitäts-Check für deine aktuellen Überzeugungen zum Thema Abgrenzen

Die Überzeugungen, die du damals verinnerlicht hast, waren bestimmt einmal sinnvoll und oft sogar überlebenswichtig. Das bedeutet allerdings nicht zwingend, dass sie auch heute noch passen und hilfreich sind. Deshalb kannst du sie jederzeit überprüfen und gegebenenfalls anpassen.

Halte darum nochmals kurz inne und beantworte dir selber folgende Fragen:

  • Welche deiner Überzeugung ist realistisch, sinnvoll und willst du behalten?
  • Welche ist übertrieben, falsch, schadet dir und willst du verändern?

 

Wenn du diese Fragen für dich geklärt hast, dann hast du bereits begonnen, deine Abgrenzungskompetenz zu entwickeln, denn Erkenntnis ist oft der erste Schritt auf dem Weg zur Veränderung.

 

Erweitere deine Abgrenzungskompetenz!

Abgrenzungskompetenz ist wie ein Muskel, den du stärken kannst. Indem du ihn benutzt, beginnt er sich weiterzuentwickeln und wird immer kräftiger. Ja, es ist tatsächlich möglich, dass du deine Abgrenzungskompetenz erweiterst und immer besser lernst, dich auf eine gute, hilfreiche Art abzugrenzen, ohne nachher schlechte Gefühle oder ein schlechtes Gewissen zu haben. Diese Persönlichkeitsentwicklung ist nicht immer einfach und geht nicht von heute auf morgen, aber sie lohnt sich auf alle Fälle. Sie macht dich zufriedener, gelassener und stärkt erst noch deine Beziehungen.

 

Wenn du jetzt merkst, dass du bei diesen vorhergegangenen Fragen vieles erkannt hast, aber noch weiter dran bleiben möchtest, dann abonniere gerne meinen Impulsletter und lass dich durch meine Impulse auf deinem Weg inspirieren und ermutigen.

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Wenn du deine Abgrenzungskompetenz mit mir als Life Coach an deiner Seite weiterentwickeln willst, damit du in solchen Situationen wieder einen guten Zugang zu dir selbst und zu deinen Ressourcen findest, dann lass uns in einem kostenlosen Kennenlerngespräch klären, wie ich dich dabei am besten unterstützen kann.

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