Scham oder Schuld? Wie oft sind uns doch schon beide Emotionen in unserem Leben begegnet? Ob uns das in dem Moment bewusst geworden ist, oder auch nicht, sie gehören zu uns. Beide Emotionen fühlen sich ähnlich unangenehm an und werden oft miteinander verwechselt. Viele würden sie am liebsten verdrängen und ignorieren. Aber was steckt hinter diesen Emotionen, Scham und Schuld?
Dazu stelle ich meiner Business-Freundin Regula Lutz ein paar Fragen. Sie ist psychosoziale Beraterin in eigener Praxis und derzeitig in Ausbildung zur Transaktionsanalytikerin und begleitet Einzelpersonen, Paare und Gruppen.
Gemeinsam haben wir uns näher mit dem Thema Scham beschäftigt, als wir das Konzept für unseren Workshop „Scham, die vergessene Emotion“ erarbeiteten. Als wir den Workshop durchführten, wurde uns bewusst, wie relevant diese Unterscheidung zwischen Scham und Schuld für unsere Teilnehmerinnen war. Damit etwas mehr Klarheit in dieses Thema kommt, stelle ich Regula in diesem Blogbeitrag dazu fünf Fragen.
In meinem Blogbeitrag Scham – tabuisierte Emotion habe ich bereits erklärt, was Scham ist und welche 5 Tipps dir helfen, hilfreich mit ihr umzugehen. In diesem Blogbeitrag geht es um die Frage:
Was ist der Unterschied zwischen Scham und Schuld?
Frage 1: Wie unterscheidet sich Scham und Schuld?
Antwort Regula: Oft werden diese zwei Wörter miteinander verwechselt, verbunden oder vermischt. Menschen äussern, dass sie sich schuldig fühlen. Beim genaueren Hinsehen verbirgt sich dahinter Scham, bzw. hinter der Scham verbirgt sich Schuld.
Scham ist ein sehr frühes Gefühl. Es gilt nebst dem Gefühl des Ekels als ein Urgefühl oder Reptiliengefühl. Ebenfalls zählt die Scham zu dem schmerzhaftesten und machtvollsten Gefühl. Dennoch bekommt es wenig bis kaum Beachtung. Allein schon dieses Gefühl auszusprechen, kann Scham auslösen. Während dem also Scham ein sehr früh entwickeltes Gefühl ist (bereits Säuglinge zeigen Scham), ist die Schuld kein Gefühl, sondern eine Tatsache, die erst bei einem ca. 3-jährigen Kind vorhanden ist, da sie gewisse kognitive Fähigkeiten, ein reifes Ich und die objektive Selbsterkenntnis voraussetzt. Die Vermischung von Scham und Schuld besteht darin, dass die Tatsache der Schuld oft einhergeht mit dem Gefühl von Scham.
Scham ist monologisch. Die sich schämende Person kreist oft um sich, zieht sich zurück, kapselt sich ab, während dem die Schuld dialogisch verstanden werden kann. Schuld spielt sich zwischen mindestens zwei Parteien ab. (Täter:in und Opfer). Wo Schuld sagt «ich habe einen Fehler gemacht», sagt die Scham «ich bin ein Fehler». Bei der Scham geht es um das Sein. Bei der Schuld, um das Tun.
Frage 2: Wie wird Scham, bzw. Schuld ausgelöst?
Antwort Regula: Scham wird ausgelöst, indem man den Menschen, egal ob Kinder, Jugendliche oder Erwachsene, elementare Grundbedürfnisse entzieht. Wenn das Bedürfnis nach Anerkennung und Wertschätzung entzogen wird, wenn ich in meiner Einzigartigkeit nicht gesehen werde, ich keine Resonanz bekomme, löst dies Scham aus. Menschen, denen dieses Grundbedürfnis entzogen wird, sind oft bereit, später nach krankhafter Anerkennung zu suchen. (in TV-Shows etc. und werden danach nicht selten noch zusätzlich beschämt).
Beschämung wird auch ausgelöst, wenn das Bedürfnis nach Schutz und Grenzen missachtet wird. Das ist besonders der Fall, wenn wir körperliche oder seelische Gewalt erleben und wir uns in unseren Beziehungen nicht sicher fühlen können oder konnten. Das kann sich bis hin zur traumatischen Scham entwickeln. Dazu zählt jegliche Art von Missbrauchserfahrung, wie Vergewaltigung, Folter oder anderen Grenzverletzungen und alle Formen von Demütigungen. Auch verbale Anzüglichkeiten erleben wir als beschämend. Genauso, wie wenn vertrauliche Informationen weitergereicht werden oder uns jemand in den Rücken fällt.
Nimmt man Menschen das Bedürfnis nach Zugehörigkeit weg, wirkt das auch beschämend. Wenn man Normen, Werte oder Erwartungen einer Gruppe, Familie, Team nicht erfüllt (man kleidet sich anders, hat andere Meinung, körperliche Merkmale, wie dicker Bauch, abstehende Ohren, Gebrechlichkeit im Alter, Leistungseinbruch). So entsteht die innere Überzeugung «ich gehöre nicht mehr dazu». Diese Menschen sind bereit, bei Dingen mitzumachen, obschon sie nicht wollen!
Werden eigene Werte, bzw. das Bedürfnis nach der eigenen Integrität verletzt, ist das beschämend. Umgangssprachlich nennen wir das «ich kann nicht mehr in den Spiegel schauen».
Schuld wird ausgelöst, indem Menschen Normen, Werte, Gesetze verletzen. Oftmals ist sie klarer erkennbar als Scham.
Frage 3: Wofür sind diese Emotionen nützlich?
Antwort Regula: Für eine gutes und gesundes Miteinander brauchen wir ein gesundes Mass an Scham, welche für die Sozialisierung wichtig ist. Scham ist dienlich, um uns zu schützen, evtl. auch um zu flüchten oder anzugreifen. Nimmt die Beschämung überhand, entwickelt (verändert sich) sich ein gesundes Mass an Scham in toxische Scham. Die Fähigkeit, Schuld zu empfinden, ist ebenso wichtig und hilft uns auch im Zusammenleben. Haben wir Schuld auf uns geladen, können wir eine Wiedergutmachung anstreben (Entschuldigung, Busse zahlen, etwas berichtigen etc.).
Frage 4: Wie zeigt sich Scham und Schuld?
Antwort Regula: Einige Unterschiede im Erscheinungsbild von Scham und Schuld habe ich bereits bei der ersten Frage beantwortet. Auf einige Gemeinsamkeiten auf körperlicher- und/oder Verhaltensebene möchte ich noch eingehen.
Körperlich: schwitzen, erröten, Augen flattern, bleich werden, erstarren, einigeln, wegschauen ….
Verhalten: Kontaktabbruch (innerlich und äusserlich), unklare, rätselhafte Sprache wählen oder mit Fremdwörtern um sich schlagen, Projektionen, andere beschämen, andere zu Unrecht beschuldigen, Zynismus, Sarkasmus, überangepasstes Verhalten, Sucht ….
Im Prinzip sind die Erscheinungsbilder von Scham und Schuld in vielem ähnlich. Genau das erschwert eine Differenzierung. Scham wird oft nur innerlich erlebt und ist von aussen kaum sichtbar. Schuld zeigt sich oft auch im Aussen, in der Tat. Natürlich können sich auch Menschen innerlich schuldig fühlen, dann geht dies oft einher mit zusätzlichen Schamgefühlen.
Frage 5: Wie gehen wir hilfreich mit Scham und Schuld um?
Antwort Regula: Genaues Hinhören: Was ist die Botschaft, die uns mitgeteilt wird?
Sich die Frage stellen «Wurden Grundbedürfnisse oder Werte/Normen verletzt»?
Scham braucht Platz und Raum, damit sie kleiner werden kann. Konkret heisst das, Menschen ansehen, Abschiedsrituale bewusst gestalten, die beschämte Person ermutigen darüber zu sprechen.
Wir leben in einer «Macherkultur». Tun und Leistung wird hoch gewichtet, währendem das Sein, auf das sich die Scham bezieht, wenig geachtet wird. Das Sein geht im Tun unter. Und es gibt auch das Gegenteil, nämlich dass Scham Schuld überdeckt. Wenn ich mich schäme, muss ich wenig bis keine Verantwortung für eine Wiedergutmachung übernehmen. Schuld hat in unserer Kultur den positiv besser besetzten Stellenwert als Scham. Bei Scham stimmt etwas mit der Person nicht.
Vielen Dank, liebe Regula, für das Gespräch.
➡️ Willst du noch etwas tiefer in das Thema Scham einsteigen? Dann schau dir meinen Blogbeitrag Scham – tabuisierte Emotion an.
➡️ Willst du informiert werden, wenn wir das nächste Mal den Workshop „Scham, die vergessene Emotion“ anbieten? Dann schreibe mir eine Mail mit dem Stichwort: Workshop „Scham“.
➡️ Willst du weitere Impulse zu einem gelingenden Leben erhalten? Dann abonniere meinen Impulsletter.
Ja, ich will den Impulsletter!