Emotionen und Glaube – Chance oder Gefahr? In diesem Interview stelle ich Andreas Sigrist, Pastor, Coach und Supervisor, 7 Fragen zu diesem Thema. Wir erforschen die faszinierende Welt der Emotionen aus einer christlichen Perspektive heraus. Dabei tauchen wir in Themen ein, die Christen gelegentlich vor Herausforderungen stellen. Wir decken auf, wie Glaube und Gefühle miteinander verwoben sind und welchen Einfluss sie auf unser persönliches und geistliches Wachstum haben können.

Andreas und ich haben uns vor über 10 Jahren in einer Coaching- und Supervisions-Ausbildung kennengelernt. Seither tauschen wir uns immer wieder mal über alltagsrelevante Themen aus.

1. Andreas, du bist Pastor und wurdest später Coach und Supervisor. Du hilfst Menschen, dass sie mehr Glück und Lebenssinn erleben. Was hat dich dazu bewogen, den Weg vom Pastor zum Coach einzuschlagen?

Ich erlebte in meiner Zeit als Pastor immer wieder Personalentscheidungen, die ich als ungünstig empfand. Ich hatte dabei den Eindruck, dass die eine oder andere schmerzvolle Erfahrung nicht hätte sein müssen, wenn die verantwortlichen Personen mit mehr Kompetenz ausgestattet gewesen wären. Dieses Erleben veranlasste mich dazu, mich diesbezüglich selber «schlauer zu machen».

 

2. Die Bibel sagt ganz viel zum Thema Emotionen. Wie siehst du die Rolle von Emotionen im christlichen Glauben? Sind sie förderlich oder hinderlich für unser persönliches oder geistliches Wachstum?

Hui, das ist eine ganz schön umfassende Frage! Da müsste ich zuerst nachfragen, was du unter «Emotionen im christlichen Glauben» verstehst. In christlichen Gemeinden z. B. haben Emotionen eine sehr unterschiedliche Bedeutung. In den einen Gemeinden wird der Eindruck erweckt, dass das Mass der Emotionen auch das Mass des geistlichen Fortschrittes wäre. Auf der anderen Seite gibt es Gemeinden, in denen Emotionen möglichst gemieden werden. Sie werden als Gefahr gesehen, durch die Menschen verführt werden könnten.

Eigentlich ist die Sache aber ziemlich einfach: Emotionen gehören zu unserem Menschsein und so auch zu einem ganzheitlichen Glaubensleben. Im Blick auf unsere geistliche Entwicklung können sie tatsächlich beides sein: Hinderlich, als auch förderlich. Nicht die Emotionen als solches sind also «das Problem». Es sind die Schlüsse, die wir aus unseren Gefühlen ziehen, die eine positive oder negative Wirkung auf uns und unsere Entwicklung haben. Diese Schlüsse können tatsächlich zu persönlichem und geistlichem Wachstum führen – dies aber leider auch verhindern.

Mann mit Hand an Kopf, wirkt nachdenklich

 

3. Christlich geprägte Menschen haben manchmal eine zwiespältige Beziehung zu einzelnen Emotionen. Wie denkst du über die Vorstellung, dass einige Christen Emotionen wie Wut, Angst und Stolz verbergen sollten, um spirituell stark zu erscheinen?  

Du beschreibst das schön mit dem Begriff «Vorstellung». Das Wort sagt  ja, dass wir etwas vorne hinstellen. Die Vor-stellungen verdecken dann die eigentliche Sache. Mit anderen Worten: Menschen erwecken durch ihr Verbergen den Eindruck, sie hätten «die Sache im Griff», würden also über der Sache stehen. In Tat und Wahrheit verdecken sie mit diesem Verhalten aber (meist unbewusst) ein wichtiges Erleben. Sie sind dadurch weniger «transparent», wirken dafür aber «sachlicher» und gefasster. Häufig können diese Personen ihre Emotionen dann tatsächlich auch weniger wahrnehmen. Es fehlen ihnen häufig auch die Worte, um Gefühle überhaupt verbalisieren zu können. Der Nutzen dieses Verhaltens (neben dem bereits gesagten): Rationalisieren verhindert eine emotionale Betroffenheit und «schützt» so vor (weiteren) Verletzungen. Warum sich Menschen so verhalten, darüber nachzudenken lohnt sich, wenn man sich vertiefter mit sich selber auseinandersetzen möchte!

 

4. Freude ist in der Bibel ein zentrales Thema. Kann man sich auf Knopfdruck freuen und wenn ja, wie geht das?

Dass man sich freuen kann, dazu braucht man einen Grund. Das gilt auch für die anderen Emotionen: Grundlos hat niemand Angst und normalerweise ärgert sich auch niemand grundlos.

Wenn in der Bibel zur Freude aufgefordert wird, dann findet sich so immer auch eine entsprechende Begründung. Paulus schreibt z. B. in Philipper 3,1 (bedenke, dass Paulus da gerade im Gefängnis sitzt): «Freut euch, weil ihr zu Christus gehört!». Ebenso ruft der Psalmbeter zur Freude auf und begründet dies (Psalm 97,12): «Ja, freut euch über den Herrn und dankt ihm! Erinnert euch, was der heilige Gott für euch getan hat!».

Durch den Glauben haben Menschen eine andere Sicht auf eine Situation und diese andere Sicht ist dann tatsächlich wie ein «Knopfdruck» – auch wenn das jetzt ein bisschen «mechanisch» formuliert ist. Ja, es ist tatsächlich die Entscheidung eines jeden Einzelnen, worauf er seinen Blick richtet und welchen Gedanken er Raum gibt, d. h. womit er konkret rechnen will.

In der «Hoffnung für alle» wird Sprüche 4,23 so übersetzt:

«Was ich dir jetzt rate, ist wichtiger als alles andere: Achte auf deine Gedanken und Gefühle, denn sie beeinflussen dein ganzes Leben!»

Der «Knopfdruck» ist also die Entscheidung, auf welche Realität ich mich in meinem Leben einlassen will.

Mann mit Daumen hoch im Interview zu Emotionen und Glaube, Freude in der Bibel

 

5. In der Bibel sind wir immer wieder eingeladen, dass Angst nicht unser Leben beherrschen soll. Wie sollten wir damit umgehen, wenn unsere Gefühle Angst signalisieren?

Ja, Angst soll tatsächlich nicht unser Leben beherrschen. Allerdings gibt es immer wieder Situationen, wo Angst als «Schutzmechanismus» ihre Berechtigung hat. Aber um diese Art von Ängsten geht es hier ja nicht.

Häufig stehen hinter Ängsten Lügen, negative Erfahrungen oder destruktive Phantasien, die sich eingenistet haben. Diese verinnerlichten Überzeugungen müssen erkannt und dann schrittweise durch die Wahrheit ersetzt werden. Für diesen Prozess ist es ratsam, fachliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, um so aus den häufig unbewussten Mustern aussteigen zu können.

Es ist hilfreich zu sehen, dass Angst auch eine wertvolle Ressource sein kann. Sie kann uns helfen, ein (besseres) Bewusstsein für unsere Bedürfnisse zu finden. Sie kann uns auch ein Lernfeld öffnen, sorgfältig mit uns selber und auch den Angst auslösenden Situationen umzugehen.

 

6. Wie können Christen Emotionen wie Trauer und Verlust verarbeiten? In schwierigen Zeiten fragen sich viele, warum Gott Leid zulässt. Wie kann der christliche Glauben uns helfen, Trost und Sinn inmitten von schmerzhaften Emotionen zu finden?

Wir Menschen leben gerne in der Komfortzone. Wenn wir an Gott glauben und davon überzeugt sind, dass er uns liebt, dann kann der Gedanken entstehen, dass Gott uns doch zu solch einem «schönen Leben» ohne Leid, Schmerz und Verlust verhelfen müsste. Diese Überzeugung orientiert sich an unseren menschlichen Wünschen und entspricht weder der Lebensrealität, noch der geistlichen Dimension unseres Lebens. Hier ist eine klare Differenzierung nötig!

Hinter Leid und Schmerz findet sich immer ein Sinn, auch wenn sich dieser im Moment nicht erschliesst. Diese Realität ist zu akzeptieren und mit dieser Situation (resp. den betroffenen Personen) sollte sorgsam umgegangen werden.

Betrachten wir biblische Berichte, so stellen wir fest, dass viele geistliche Erkenntnisse und Aufbrüche erst auf Grund von schmerzlichen Erfahrungen möglich waren. Oft muss die eigene «Traumwelt» zerbrechen, damit die Sicht frei wurde für die geistliche Dimension des Lebens. Was ich hier beschreibe, das sind meistens sehr schmerzhafte Prozesse. Darin die geistliche Dimension zu erkennen, das ist nicht immer einfach. Wo dies aber gelingt, da findet sich plötzlich Trost, Hoffnung und auch neue Motivation.

Wichtig ist mir die Anmerkung, dass es für das Bearbeiten solch schmerzlicher Erfahrungen Zeit – Zeit, die sich die betroffenen Personen auch zugestehen sollten. Von aussen sind da Verständnis, Empathie, Trost und Ermutigung hilfreiche Faktoren. Ja, solche Situationen sind sehr herausfordernd. Dass der Umgang damit möglichst gut gelingt, dazu empfehle ich auch hier Hilfe, z. B. durch eine entsprechende Trauerbegleitung, in Anspruch zu nehmen.

 

7. Wie kann man als jemand, der nicht unbedingt gläubig ist, von den Prinzipien des christlichen Glaubens in Bezug auf Emotionen profitieren?

Interessant ist für mich, dass der Begriff «Evangelium» ja «Frohe Botschaft» bedeutet. Mit anderen Worten: Wo das Evangelium in einem Menschen Raum bekommt, da müsste eine positive Emotionserfahrung beinahe «automatisch» sicht- und spürbar werden. Geschieht das nicht, dann ist dies schon sehr bedenkenswert!

Das Besondere am christlichen Glauben besteht ja im Erleben, dass Gott mich bedingungslos liebt und er dies in der Person und im Werk von Jesus Christus deutlich zum Ausdruck bringt. Besonders relevant wird dieses Geschehen natürlich in einer schwierigen Situation. Durch das Gottvertrauen erlebt der Gläubige da Halt, Trost, Frieden und sogar Zuversicht. Die Orientierung an diesem Gott, der uns liebt, hilft, unser Leben nicht von negativen Erfahrungen und Emotionen bestimmen zu lassen. Dieses Erleben, das bringen z. B. die Psalmbeter immer wieder zum Ausdruck (Psalm 23,4):

«Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich»

oder Psalm 71,3:

«Sei mir ein starker Hort, zu dem ich immer fliehen kann, der du zugesagt hast, mir zu helfen; denn du bist mein Fels und meine Burg.»

Ja, das ist eine wunderbare Erfahrung, wenn unsere Emotionen nicht von unseren Alltagssituationen, sondern vom lebendigen Gott bestimmt werden! Dass wir nicht zum emotionalen Spielball werden, sondern uns von Gott gehalten wissen, das spürt, beeindruckt und kann auch eine Hilfe sein für eine Person, die «nicht unbedingt gläubig» ist.

Andreas, ich danke dir ganz herzlich für deine offenen Antworten, die zum Nachdenken bringen und so viel Perspektive vermitteln.

Andreas Sigrist, im Interview Emotionen und Glaube

 

Mehr zu Andreas Sigrist

Seit mehr als 30 Jahren hilft er Menschen, sich zu orientieren, vertieften Zugang zur eigenen Spiritualität zu finden, den künftigen Weg zu klären und so sinnerfüllt ein glückliches Leben zu führen.

Er hat verschiedenste Krisen selber erlebt, die zu Bitterkeit oder Verzweiflung hätten führen können. Eine angeborene Augenkrankheit führte zu monatelangen Klinikaufenthalten und dann zum Verlust des einen Auges. Dies hinterliess bereits im Kindesalter Spuren. Ebenso sind ihm Überforderung und Stress mit entsprechenden psychosomatischen Auswirkungen vertraut.

Heute unterstützt er mit seinem exklusivem Glücks- und Lebenssinn-Programm  unterschiedlichste Menschen dabei, Schritt für Schritt Zugang zu sich, den persönlichen Herausforderungen und Gott zu finden, so dass sich Sinn und Lebensglück einstellen.


 

➡️ Tipp! Wenn du das Thema Emotionen vertiefen willst, dann stöbere gerne in meinen Blogbeiträgen, z. B. hier: Emotionen verstehen! 

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